Flucht aus Pommern

Erinnerung an die Kindheit in Retzenhagen, Kreis Cammin, vor der Flucht 1945. Irmgard Vandrey (links) mit ihren beiden kleinen Schwestern und dem Cousin.
Erinnerung an die Kindheit in Retzenhagen, Kreis Cammin, vor der Flucht 1945. Irmgard Vandrey (links) mit ihren beiden kleinen Schwestern und dem Cousin.© Volksbund-Archiv, R10

Seit Februar 1945 sind auch die Pommern auf der Flucht. Die Häfen von Stolpmünde und Rügenwalde und Kolberg sind bis für Tausende die Rettung. Auf Schiffen geht es nach Westen bis Swinemünde. Am 7. und 8. März gelingt den letzten Flüchtlingen von Stolpmünde und Rügenwalde aus die Flucht über die Ostsee, am 18. März besetzen sowjetische und polnische Truppen nach schweren Kämpfen auch Kolberg. Seit dem Vorstoß der sowjetischen Truppen bis an die Oder vor Stettin in den ersten Märztagen bleibt den langen Trecks aus Hinterpommern nur noch der Weg entlang der Küste über die Inseln Wollin und Usedom nach Westen.
Wenige Kilometer östlich der Insel Wollin in dem kleinen Vorwerk Retzenhagen lebt die Gutsarbeiterfamilie Vandrey. Seit Wochen ziehen von Osten her Flüchtlingstrecks auf der Reichsstraße 111 vorbei. Die Dorfkinder finden eines Tages im verschneiten Straßengraben beim Spielen ein totes Baby. Die neunjährige Irmgard Vandrey und ihre kleinen Schwestern Annemarie und Erika werden so das erste Mal mit den Schrecken der Flucht konfrontiert. Am 5. März müssen dann auch die Retzenhagener aufbrechen. Der kriegsversehrte Vater, der einen Arm in Stalingrad verlor, führt den Treck, der überwiegend aus Frauen und Kindern besteht. Irmgard erinnert sich: „Die Frauen brachten alle Federbetten auf den Wagen, damit wir nicht so frieren sollten. Ich war mit meinen 9 Jahren das älteste von insgesamt neun Kindern und musste auf die Kleineren achtgeben.“ Die Flucht vor der anrückenden Roten Armee gelingt gerade noch rechtzeitig. Der Treck erreicht am 10. März Swinemünde, wähnt sich zunächst in Sicherheit. Am 12. März erlebt die Hafenstadt einen schweren amerikanischen Bombenangriff. Eine hochschwangere Frau aus Retzenhagen und ihre Kinder sterben.
Familie Vandrey kommt mit dem Schrecken davon und flieht weiter bis nach Mecklenburg. Eine Schule im Dörfchen Rom bei Lübz ist eine erste Notunterkunft. Irmgard Schult, geborene Vandrey, findet im Kreis Parchim eine neue Heimat und schreibt 2013 ihre Erlebnisse auf: „Aufgrund meiner Kriegserlebnisse – der Krieg hat mir meine Kindheit geraubt – habe ich meinen fünf Kindern vorgelebt, keine Menschen als Feinde anzusehen oder sie zu hassen.“