Der Bollerwagen aus Schlesien
Emma Hantke flieht am 23. Januar 1945 mit ihren Kindern aus der schlesischen Hauptstadt Breslau. Zunächst geht es nach Jauer. „Am 24. früh 7 Uhr Marsch nach Schönau mit Schlitten u. Kindern, sehr kalt, um 3 Uhr in Jägendorf. Dort schlappgemacht.“ Dann fliehen sie weiter über das Gebirge nach Böhmen.
Zusammen mit ihrem Sohn Manfred, ihrer Stieftochter Johanna und ihrer Mutter Martha Kühnel macht sich die damals 42-Jährige auf eine lange und beschwerliche Flucht. Über Prag gelangen die Flüchtlinge in den Böhmerwald. Dort bleiben sie drei Monate bei einem Bauern. Dann müssen sie am 15. Mai über die Grenze ins bayerische Untergrafenried. Immer zu Fuß schlagen sie sich durch. Über Franken, Sachsen bis nach Doberlug-Kirchhain im südlichen Brandenburg zu Bekannten. Dort endet ihre Flucht am 17. Juli. Schließlich findet Emma Hantke ihren Ehemann Alfred wieder. Mit ihren Kindern zieht sie zu ihm nach Berlin-Spandau, wo er als Eisenbahner arbeitet.
Der Bollerwagen aus Schlesien begleitet die Familie weiter. In den Jahren nach dem Krieg erhält er eine neue Bestimmung. Zunächst dient er dem Kohletransport zwischen dem Berliner Alexanderplatz und Spandau. Schließlich landet er im Keller von Emma und Alfred Hantke. In den 1970er Jahren gelangt der Bollerwagen auf die Gartenparzelle von Sohn Manfred und Familie in Berlin-Mariendorf, wo er vor allem als Dekorationsobjekt im Garten dient. Als der Schrebergarten einem Großbauprojekt zum Opfer fällt, zieht der Bollerwagen noch einmal um. In einem Reihenendhaus in Lichtenrade begleitet er die Familie seit 1979, als Blumenkasten geschmückt oder als provisorischer Tisch verwendet. Über Jahrzehnte hinweg pflegt Familie Hantke „ihren“ Bollerwagen und bereitet ihm stets einen sicheren und geschützten Platz.
Im Rahmen eines Zeitzeugenaufrufs 2017 wird er dem Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung übergeben, wo er an die Flucht der Familie Hantke aus Schlesien erinnert.